Vater Emilian ist Mönch. Er rutscht nervös auf seinem Stuhl hin und her. Der schmale Stuhl knarrt und ächzt aus allen Fugen, weil Vater Emilian zirka zweieinhalb Zentner wiegt. „Zum Teufel nochmal, heutzutage ist alles verdorben bis ins Mark!“, flucht Vater Emilian vor sich hin. Seine Brille mit den dicken, getönten Gläsern sitzt schief. „Ana, bring mir noch ein Gläschen!“, schreit er und bekreuzigt sich.
Vater Emilian ist seit Jahrzehnten Abt in einem Kloster unweit unserer schönen Hauptstadt. Das Kloster liegt auf einer Insel im Snagov-See. Vater Emilian lebt allein in dem Kloster. Früher gab es noch eine alte Nonne, aber Vater Emilian hat sie rausgeschmissen, da sie „moralische Probleme mit sich brachte“. Er möchte nicht präzisieren, um was genau es ging, er rollt mit den Augen. Jetzt ist nur noch Ana da, die Haushälterin, sie kommt jeden Tag aus dem Dorf. Ana wiegt zirka zwei Zentner und hat Arme wie Baumstämme.
Die einzige Verbindung zur Außenwelt besteht in einem kleinen Boot, mit dem Ana über den See rudert. Wer das Kloster und Vater Emilian besuchen will, der muss vom anderen Ufer herüber schreien: „Ana, das Boot!“ Wenn der Wind schlecht steht oder Ana im Keller zu tun hat, dauert es, bis sie das Schreien hört.
Das Snagov-Kloster ist berühmt, weil hier vor ungefähr fünfhundert Jahren Dracula begraben worden sein soll. Oder besser gesagt, derjenige, den sich der irische Schriftsteller Bram Stoker 1897 zum Vorbild für seinen Bestseller „Dracula“ auserkoren hatte: der walachische Wojewode Vlad Țepeș, zu deutsch Vlad der Pfähler.
Vlad der Pfähler hat seine Feinde zu Tausenden aufgespießt. Er ist in Rumänien ein Nationalheld, weil die Jahre, in denen er regierte, angeblich diejenigen der rumänischen Geschichte waren, in denen es im Land keine Korruption und keinen Diebstahl gab und in denen Ordnung herrschte. Das war um 1460.
Heute erzählen die Leute im Land nostalgisch und liebevoll von der Regierungszeit des Pfählers. Zum Beispiel hätte der grausame, aber gerechte Wojewode jeden Fremden, der durch die Walachei reiste, gebeten, abends einen Beutel mit Gold mitten auf die Straße zu legen. Am nächsten Morgen sei der Beutel noch dagewesen, niemand habe es gewagt zu stehlen. Auch können alle Schulkinder die legendären Zeilen des Nationaldichters Mihai Eminescu aus seinem berühmten Gedicht „Dritter Brief“ von 1881 daherbeten: „Ach, Pfähler! Herrscher! Kämst du doch! Mit harter Hand zu richten!“
Als das Grab des Pfählers im Snagov-Kloster in den dreißiger Jahren geöffnet wurde, war es einfach leer. Kein einziges verstaubtes Knöchelchen fanden die Historiker. Vater Emilian hat keine Erklärung dafür. Nun ja, könnte der Pfähler nicht vielleicht doch ein Untoter… Vater Emilian schreit auf, weil er sich in seiner nationalen Ehre gekränkt fühlt: „Was, sind wir etwa ein Volk von Blutsaugern?!“
Heute steht ein Bildnis des Pfählers am leeren Grab, manchmal verneigt Vater Emilian sich respektvoll davor. Vlad starrt aus leeren Augen, wie üblich auf seinen Bildnissen.
Schon vor vielen Jahren wurde mit der Renovierung der Klosterkirche begonnen. Der Turm ist fertig, aber um den Rest zu beenden, fehlt immer wieder das Geld.
Vater Emilian regt sich auf: „Unter Ceaușescu herrschte Ordnung, es sind wenigstens Touristen hergekommen, auch viele ausländische, manchmal mehrere Boote am Tag. Ich konnte französisch sprechen, und wir haben von den Spenden gelebt. Heute lässt sich wochenlang niemand blicken. Seit Monaten kann ich die Stromrechnung nicht mehr bezahlen. Verflucht!“ Draußen blöken die Schafe. Vater Emilian zündet sich noch eine Zigarette an und schreit: „Ana, bring mir noch ein Gläschen!“
Es gab vor einem Jahrzehnt einmal den Plan einer Regierung, am Snagov-See einen riesigen Dracula-Vergnügungspark bauen lassen und damit ausländische Gäste anzulocken. So sollte der Tourismus im Land angekurbelt und harte Währung ins Land geholt werden, zugleich, so sah der Plan vor, hätte man den Leuten aus dem Westen erklären können, wer Vlad der Pfähler wirklich war: kein blutsaugender Vampir, sondern ein unbestechlicher und gerechter Herrscher.
Um den Dracula-Park zu finanzieren, gab die Regierung Dracula-Volksaktien aus, der Tourismusminister wedelte mit denen, die er erworben hatte, vor laufender Kamera herum. Natürlich wurde aus dem Dracula-Park überhaupt nichts. Die Leute, die im Glauben an den guten Namen des Pfählers Dracula-Park-Volksaktien gekauft hatten, fühlten sich betrogen und wollten ihr Geld zurück. Auch daraus wurde nichts. „Ach, Pfähler! Herrscher!“
Vater Emilian regt sich auf: „Ja, ja, diese Banditen von Politikern, zum Teufel! Dieser Dracula-Plan war sowieso eine Verzerrung unserer Geschichte! Und überhaupt, was, wenn plötzlich Horden von ausländischen Touristen in unser Kloster einfallen?! Dann ist unsere ganze schöne Ruhe dahin! Verdammt nochmal!“
Vater Emilian fuchtelt mit seinem Stock in der Luft umher. „Ana, bring mir noch ein Gläschen“, schreit er und bekreuzigt sich.