Weiche, Satan, weiche!

Sie ist ein Geheimtip unter manchen Gläubigen, diese kleine, weiße, unauffällige Kirche im Stadtzentrum von Bukarest, die Kirche des Heiligen Spiridon, an welcher der Verkehr auf der Unabhängigkeits-Promenade sich so achtlos vorbeischiebt. Am späten Vormittag kommen die Gläubigen, nur eine Handvoll meistens. Alle sind Frauen bis vierzig Jahre, Akademikerinnen, unverheiratet, kinderlos.

So wie Frau Dumitrescu. „Ich habe die Kirche des Heiligen Spiridon kürzlich entdeckt, sie gefällt mir sehr“, sagt die Lehrerin und hüllt ihren Kopf in ein Tuch. „Sie hat eine große spirituelle Macht. Und Vater Ioan ist mit einer göttlichen Gabe gesegnet, mit einer Ausstrahlung, die ich noch nie irgendwo anders gespürt habe. Er gibt mir Kraft, mein Leben weiter zu führen.“

Vater Ioan, der Priester der Kirche des Heiligen Spiridon, steht mit ausgestreckten Händen vor dem Altar, den strengen Blick seiner kleinen Herde zugewandt, den Frauen, die in Kopftücher vergraben sind und demütig vor ihm knien. „Ich verfluche dich, Satan“, ruft Vater Ioan mit einer Stimme wie das Finale einer Orgelsymphonie und legt den Frauen die Hände auf, „ich verfluche dich, Satan!“

 

Halb ergreifend, halb anrüchig

 

Vater Ioan ist eine machtvolle Erscheinung, wie er so dasteht, streng blickend, in seinem schwarzen Gewand, groß, breitschultrig, muskulös, millimeterkurzes Haar, weißer Stoppelbart. Seine tiefe Stimme dringt durch Mark und Bein. Die knieenden Frauen rutschen behutsam ganz dicht an ihn heran und drängen mit ihren Köpfen unter sein epitrahil, den heiligsten Teil seines lithurgischen Gewandes. Es sieht halb ergreifend aus, halb anrüchig. „Ich verfluche dich, Satan!“, donnert Vater Ioan. Ermattet flüstern die Frauen: „Amen!“

Vater Ioan zelebriert mehrmals in der Woche Messen gegen das Böse. Stundenlang sprechen und singen er und seine Besucherinnen Variationen eines molitfelnic, eines rituellen Gebets zur Austreibung des Bösen, gegen Flüche, Verwünschungen und Zauberbanne. Gemeinsam fallen sie in eine Art Trance, die Orthodoxen nennen es traire. Am Ende stehen die Frauen lächelnd auf, mit Schleierblick auf und drücken Vater Ioan ein paar Geldscheine in die Hand, bevor sie seine Kirche verlassen. Es geht ihnen jetzt gut. Oder jedenfalls besser.

Die orthodoxe Kirche ist Gesundheitswesen, psychosoziale Beratungsstelle und Justiz in einem. Es gibt Messen gegen die Macht des Teufels, Heilungsmessen oder Ablassmessen. Mit ungezählten Bräuchen, Kniffen und Regeln können Gläubige Missgeschick und Unglück jedweder Art von sich fernhalten, können ihre Gesundheit, den Familienfrieden, ihren Arbeitsplatz, ihre Angehörigen und natürlich auch ihre eigene Seele vor dem Teufel retten.

 

Viele Discounter, wenige exklusive Vertragswerkstätten des Herrn

 

Gegen Bezahlung. Vom geheiligten Wasser über das Segnen des Autos und dem Lösen eines Zauberbannes bis zur Austreibung des Leibhaftigen – alles hat seinen Preis. Und das muss auch so sein, denn die orthodoxen Geistlichen erhalten nur ein kleines staatliches Gehalt, ein Almosen, den größten Teil ihrer Einnahmen beziehen sie wie Freiberufler dadurch, dass sie die bekümmerten Seelen ihrer gläubigen Kunden, die für religiöse Zeremonien bezahlen, wieder aufpäppeln.

Es gibt solche und solche Dienstleister. Viele Discounter und schwer zu findende Vertragswerkstätten des Herrn. Vater Ioan, das sagen seine Besucherinnen, sei einer der wenigen, der seine geistlichen Aufgaben sehr ernst nehme. Er spricht im Detail nur ungern über Teufelsaustreibung und Tarife. Auch die Schwärmerei über seine göttliche Macht und Ausstrahlung entlockt ihm nur ein mildes, abwehrendes Lächeln. „Es ist die Ikone des Heiligen Spiridon“, sagt Vater Ioan. „Sie hat eine ganz besondere Macht. Wenn man sie gläubig anbetet, dann eilt sie einem schnell und unermüdlich zur Hilfe und erfüllt das Anliegen.“

Frau Ciobanu, eine Angestellte in einer Werbeagentur, hat die Wunderwirkung erfahren, eher die von Vater Ioan als die der Ikone. „Vor anderthalb Jahren, kurz vor Weihnachten, klopfte er an meine Tür und segnete meine Wohnung“, erzählt die zierliche, rothaarige Frau. „Dann hat er mich angeschaut und mir gesagt, dass meine Seele zerrissen sei. Er sagte, ich könne einfach keinen Mann neben mir dulden, vermutlich sei ich verflucht oder mit einem Zauberbann belegt worden. Ich war sehr überrascht.“

 

„Sie reden schmutzig und haben die Taschen voller Mobiltelefone“

 

Tatsächlich, sagt sie, habe sie immer wieder problematische Beziehungen mit Männern gehabt, die spätestens nach einigen Monaten zuende gegangen seien. Auf den Rat des Priesters hin begann sie, regelmäßig seine Gottesdienste zu besuchen, vor allem die zur Austreibung des Bösen. „Sechs Monate habe ich an den rituellen Gebeten teilgenommen“, sagt sie. „Dann habe ich jemanden kennengelernt und ihn geheiratet.“ Sie ist keine reiche Frau. Sie hat keine privaten Séancen mit Vater Ioan abgehalten. Wenn er ihre Wohnung gesegnet hat, wenn sie in der Kirche war, hat sie verschämt zwei, drei Scheine auf den Altar gelegt, es war nicht sehr viel Geldc. Vater Ioan ist immer zufrieden und gütig gewesen. „Jetzt fühle ich mich sehr gut“, sagt Frau Ciobanu. „Ich habe überhaupt keine Probleme gehabt, diesen Mann, der jetzt mein Mann ist, neben mir auszuhalten.“

Frau Ciobanu ist froh, dass die Vorhersehung Vater Ioan zu ihr geführt hat. „Es gibt zu viele Pfuscher und Quacksalber und Betrüger“, sagt sie, „die reden schmutzig, fahren teure Autos und haben die Taschen voller Mobiltelefone.“ Sie schüttelt sich und verzieht das Gesicht.

Vater Gheorghes Mobiltelefon klingelt, er hat vergessen es auszuschalten. Hektisch presst er die „Lautlos“-Taste, dann liest er stockend die Namen auf der Liste weiter. Immer wieder blinzelt er, hält sich den Zettel ddicht vor die Augen, er sieht ziemlich entnervt aus, so als wolle er sagen: Was für eine Sauklaue!

 

Schmatzgeräusche beim Küssen der Ikone

 

Am Dienstag ist Wundertag in der Bukarester Kirche des Heiligen Antonius, gleich neben dem Platz der Einheit. Heute, so wie jeden Dienstag, erfüllt der Heilige Antonius die Wünsche der Gläubigen, deshalb ist der Andrang riesengroß.

Die Leute hier sind keine Akademiker, sie kommen in Plastiklatschen, sie sehen müde aus und riechen nach Schweiß. In einer langen, ungeordnet wabernden Schlange drängen sie zu den Priestern. Hin und wieder hallt ein Schmatzen durch die Kirche, es ist der nasse Kuss eines Gläubigen auf die silberne Ikone des heiligen Antonius. Hier und da klingelt ein Mobiltelefon.

Die Priester stehen an leicht erhöhten Pulten. Bei ihnen geben die Gläubigen von Hand beschriebene Zettel und Geldscheine ab. Auf den Zetteln steht groß: acatist. Das Wort ist fett unterstrichen wie ein Antrag. Ein acatist ist so etwas ähnliches wie ein Antrag. Es ist eine Namensliste mit einem Wunschgebet, dass die Gläubigen den Priester verrichten lassen. Die Priester werfen die Geldscheine mit gespielter Verachtung in einen Pappkarton. Dann murmeln sie die Wünsche der Gläubigen, eintönig und schnell.

Vater Gheorghe legt einer älteren Gläubigen das epitrahil über den Kopf. Eintönig raunt er ihren Antrag an den heiligen Antonius: „Ich bete für Marius, damit er ein Stipendium im Ausland bekommt, für Ion, damit er die Prüfungen an der Fakultät besteht, für Gheorghe und Ana, damit ihre Ehe gut läuft, ich bete für Maria, damit sie von ihren Flüchen und Verwünschungen befreit wird, und für die Gesundheit von Cristi, Ionuț, Marius, Cristina, Carmen, Ioana, Roxana, Maria, Gheorghe und Ana.“ Er legt den Zettel auf einen dicken Stapel. „Kommen Sie Dienstag in einer Woche wieder“, befielt er. Die Frau küsst seine Hand.

Jetzt, gegen neun Uhr morgens, ist Stosszeit. Die Schlange reicht bis vors Kirchenportal, die Gläubigen schieben diskret. Nichts kann Vater Gheorghe an seinem Pult aus der Ruhe bringen. Sein grau-meliertes Haar ist ordentlich gekämmt. Er trägt eine Brille mit dezentem Silberrand. Ruhig streicht er den Stapel der abgearbeiteten Wunschgebete glatt und presst die Geldscheine tiefer in den halbvollen Pappkarton. Er ist ein erfahrener Sachbearbeiter.

 

„Drei Stunden gebetet. Holzkreuz zerbrochen.“

 

Neun Dienstage hintereinander müssen Gläubige kommen, damit ihr Wunschgebet in Erfüllung geht. „Dass der Heilige Antonius etwas nicht erhört, gibt es gar nicht“, erzählt Vater Gheorghe später inbrünstig. „Er hat große Macht. 99 Prozent der Fälle sind so, dass die Leute neun mal herkommen, und beim zehnten Mal sagen sie mir, Vater, das Problem, das ich hatte, ist gelöst.“

Exakt so erging es Herrn Zarafu, einem Armeeoffizier. Er kommt regelmäßig in die Antonius-Kirche und gibt hier sein acatist zusammen mit ein paar Geldscheinen ab. „Ich bete seit einiger Zeit für meine Gesundheit und dafür, dass wir eine Wohnung bekommen“, sagt er. „Die Wohnung haben wir inzwischen bekommen, und auch bei der Gesundheit haben sich schon Ergebnisse eingestellt.“

Die Versicherungsagentin Frau Ionescu ist noch etwas entfernt von der Erfüllung ihrer Wünsche: „Ich komme für meine Seelenruhe und damit meine Probleme am Arbeitsplatz sich lösen, denn auf dem Weg der Justiz läuft es bei uns nicht. Deshalb ist Gott die einzige Hoffnung.“

Es sind die einfachen Fälle für Vater Gheorghe. Aber auch die komplizierten löst er ohne zu zögern. „Einmal kam eine Frau zu mir, die vom Teufel besessen war“, erzählt er lächelnd. „Sie kam und schrie, ich legte ihr mein Gewand über den Kopf. Daraufhin sprach sie mit tiefer Stimme und hatte Schmerzen. Ich habe drei Stunden lang Gebete gelesen, ich habe den Teufel verflucht im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, es war sehr schlimm, sogar mein kleines Holzkreuz ist zwischendurch bei der Zeremonie zerbrochen. Nach drei Stunden kam der Frau dann eine weiße Materie aus dem Mund, eine ganzer Becher voll. Ich habe gesagt: ,Weiche, Satan!´ Und die Frau ist dem Teufel entkommen.“